In Vergeben und Heilen: Warum es wichtig ist, sich selbst zu vergeben – und was der Unterschied zu „Verzeihen“ ist
- Andrea Schröder

- 29. Apr.
- 5 Min. Lesezeit

Vergebung ist ein Thema, das oft mit einer Mischung aus Hoffnung und Unsicherheit verbunden ist. Viele Menschen glauben, dass Vergebung bedeutet, dass wir das Verhalten einer anderen Person entschuldigen oder sogar vergessen müssen – doch das ist nicht ganz richtig. Tatsächlich ist Vergebung ein Akt, der vor allem uns selbst hilft und uns auf einem tieferen, inneren Heilungsweg unterstützt. Es ist ein Schlüssel, um in Frieden mit der Vergangenheit und mit uns selbst zu kommen.
Doch wie genau hängt Vergebung mit Heilung zusammen? Und was ist der Unterschied zwischen „Vergeben“ und „Verzeihen“?
Vergebung als Heilungsprozess
Stell dir vor, du trägst einen schweren Rucksack voller negativer Erinnerungen und Gefühle – Groll, Wut, Enttäuschung, vielleicht sogar Schuldgefühle. Jede dieser Lasten ist wie ein schwerer Stein in diesem Rucksack. Wenn wir in der Vergangenheit verletzt wurden, sei es durch eine andere Person oder durch unser eigenes Verhalten, bleibt diese Last oft in uns. Der Schmerz, der durch den anderen oder durch uns selbst verursacht wurde, bleibt in unseren Gedanken und in unserem Körper. Und dieser Schmerz hat die Macht, uns zu blockieren – sowohl emotional als auch körperlich.
Vergebung ist wie das Abwerfen dieses Rucksacks. Sie ist nicht so sehr ein Geschenk an die andere Person, sondern ein Akt der Befreiung für uns selbst. Es geht nicht darum, das Verhalten des anderen gutzuheißen oder zu entschuldigen. Vergebung ist vielmehr eine Entscheidung, den Schmerz loszulassen, nicht mehr in der Vergangenheit zu verharren und Raum für Heilung zu schaffen. Denn solang wir an der Verletzung festhalten, halten wir uns selbst gefangen.
Vergeben bedeutet, den Groll, den wir in uns tragen, aufzulösen und uns selbst von der Last zu befreien. Es ist ein befreiender Akt, der uns inneren Frieden ermöglicht. Und dieser Frieden ist ein wichtiger Bestandteil des Heilungsprozesses.
Vergeben und Verzeihen: Wo liegt der Unterschied?
Ein häufiger Fehler, der beim Thema Vergebung gemacht wird, ist die Annahme, dass Vergebung gleichbedeutend mit Verzeihen ist. Doch das sind zwei verschiedene Dinge, die oft miteinander verwechselt werden.
Verzeihen bedeutet in vielen Fällen, dass wir die Handlung der anderen Person als weniger schlimm oder weniger schmerzhaft ansehen. Manchmal denken wir, dass wir jemanden nur dann wirklich vergeben, wenn wir in der Lage sind, das, was sie getan haben, zu entschuldigen oder zu akzeptieren. Doch das muss nicht der Fall sein.
Vergebung, im Gegensatz dazu, bedeutet nicht, dass wir das Verhalten des anderen gutheißen müssen. Es bedeutet nicht, dass wir den Fehler der anderen Person auslöschen oder so tun müssen, als wäre nichts passiert. Vielmehr bedeutet es, dass wir die negativen Emotionen, die mit der Handlung verbunden sind – wie Wut, Enttäuschung oder Hass – loslassen. Vergebung ist ein innerer Prozess, bei dem es darum geht, die Kontrolle über unsere eigenen Gefühle zurückzugewinnen und uns nicht von der Verletzung oder dem Fehlverhalten der anderen Person definieren zu lassen.
Es ist also vollkommen möglich, zu vergeben, ohne zu verzeihen. Du kannst jemanden vergeben, ohne das, was er dir angetan hat, zu entschuldigen oder zu rechtfertigen. Vergeben bedeutet, dass du die Wut und den Schmerz, die du empfunden hast, loslässt und nicht zulässt, dass diese negativen Gefühle weiterhin dein Leben bestimmen.
Sich selbst vergeben: Der Schlüssel zur wahren Heilung
Neben der Vergebung gegenüber anderen gibt es noch eine tiefere und ebenso wichtige Form der Vergebung: sich selbst zu vergeben. Viele von uns sind oft härter zu sich selbst als zu anderen. Wir tragen die Last unserer Fehler, Versäumnisse und Entscheidungen, die wir bereuen, und diese Schuld kann uns auf lange Sicht emotional erdrücken.
Sich selbst zu vergeben bedeutet, sich zu erlauben, menschlich zu sein. Es bedeutet, anzuerkennen, dass Fehler Teil des Lebens sind und dass wir aus ihnen lernen können, anstatt uns immer wieder dafür zu verurteilen. Sich selbst zu vergeben ist der erste Schritt zur Heilung von inneren Wunden, die wir uns selbst zugefügt haben. Es ist ein Akt der Selbstliebe und des Mitgefühls. Nur wenn wir uns selbst vergeben, können wir auch den anderen in unserem Leben vergeben.
Es kann schwierig sein, sich selbst zu vergeben – besonders wenn wir das Gefühl haben, dass wir etwas Unverzeihliches getan haben. Doch der erste Schritt besteht darin, uns daran zu erinnern, dass wir in der Lage sind, aus unseren Fehlern zu lernen und uns zu verändern. Vergebung ist kein „Absolution“ im traditionellen Sinne. Es ist eher ein „Lernen, mit den Fehlern zu leben und uns selbst die Erlaubnis zu geben, weiterzumachen.“
Eine persönliche Geschichte: Der Weg zur Vergebung meiner Eltern
Als ich selbst begann, mich intensiver mit dem Thema Vergebung auseinanderzusetzen, stieß ich auf eine der schwierigsten Hürden in meinem Leben: das Vergeben meiner Eltern. Es ist nicht ungewöhnlich, dass wir uns als Erwachsene noch von den Verletzungen geprägt fühlen, die wir als Kinder erfahren haben – auch wenn sie oft nicht absichtlich oder aus böser Absicht geschehen sind. Ich trug über viele Jahre hinweg Wut und Enttäuschung über Dinge, die in meiner Kindheit passiert sind.
Doch irgendwann wurde mir klar, dass ich diese Last nicht länger mit mir herumtragen konnte. Ich wusste, dass ich etwas tun musste, um inneren Frieden zu finden und um wirklich loszulassen. In diesem Moment begann der eigentliche Prozess der Vergebung. Es war keine einfache Entscheidung, aber ich verstand, dass ich meinen Eltern nicht unbedingt „verzeihen“ musste, um zu vergeben. Ich musste mich von der Wut und dem Schmerz befreien, den ich in mir trug, um meinen eigenen inneren Frieden zu finden.
Das Loslassen der Wut und der Enttäuschung gegenüber meinen Eltern war eine Befreiung. Es war nicht so, als hätte ich alle alten Wunden vergessen – aber ich konnte endlich aufhören, mich von ihnen definieren zu lassen. Ich fühlte mich freier und konnte ein neues Gefühl der Entspannung und des Friedens in mir selbst spüren.
Uns selbst auch vergeben – der vergessene Schritt
Eine Sache, die ich früher oft übersehen habe, war die Tatsache, dass wir in Beziehungen nicht nur von anderen verletzt werden – sondern auch selbst Fehler machen. Ich habe oft anderen Menschen in meinem Leben vergeben, sei es in Freundschaften oder Partnerschaften, aber dabei vergessen, mir selbst auch zu vergeben für das, was ich vielleicht dem anderen angetan habe. Vielleicht habe ich etwas gesagt, das verletzt hat, oder ich habe mich in einer Situation nicht so verhalten, wie ich es mir gewünscht hätte. Doch auch ich habe diese Fehler gemacht – und genauso wie es wichtig ist, anderen zu vergeben, ist es genauso wichtig, sich selbst dafür die Erlaubnis zu geben, zu heilen und weiterzugehen.
Es ist so leicht, sich auf die Fehler der anderen zu konzentrieren und zu glauben, dass nur sie für den Schmerz verantwortlich sind. Aber wir tragen oft auch unsere eigenen Lasten. Der wahre Akt der Vergebung – sowohl für andere als auch für uns selbst – liegt in der Anerkennung unserer eigenen Schwächen und der Bereitschaft, uns selbst zu vergeben. Nur dann können wir als Ganzes heilen.
Warum ist Vergebung so wichtig?
Vergebung ist nicht nur eine spirituelle Praxis, sondern hat auch konkrete Auswirkungen auf unsere psychische und körperliche Gesundheit. Studien zeigen, dass Menschen, die in der Lage sind, zu vergeben, oft weniger unter Angst, Depressionen und Stress leiden. Sie sind emotional resilienter und können bessere Beziehungen führen.
Wenn wir uns weigern, zu vergeben, halten wir uns an der Vergangenheit fest – an den negativen Erlebnissen, die uns verletzt haben. Dieser Groll kann sich im Laufe der Zeit zu körperlichen und emotionalen Blockaden manifestieren. Vergebung, und sei es nur der Versuch, sie zu praktizieren, ist ein Schritt hin zu emotionaler Heilung und persönlichem Wachstum.
Vergeben ist der Weg zu innerem Frieden
Am Ende geht es bei der Vergebung um unsere eigene Heilung. Sie hilft uns, von der Vergangenheit loszulassen, Frieden zu finden und uns selbst zu befreien – egal, ob wir den anderen verzeihen können oder nicht. Vergebung ist ein Akt der Stärke, kein Akt der Schwäche. Sie ist der Schlüssel, um den Rucksack voller Groll und Schmerz abzulegen und mit einem leichteren Herzen weiterzugehen.
Und wenn es um die Frage geht, wie wir mit uns selbst umgehen – sich selbst zu vergeben ist der wichtigste Schritt auf diesem Weg. Nur wenn wir uns selbst mit Liebe und Mitgefühl begegnen, können wir wirklich heilen.
Herzlichst
Andrea



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